Fr., 25.11.2005
 
 
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Kolumne
Freitag, 22.4.05
Zu viel des Guten
Wenn Tennis schön ist und mehr Tennis noch schöner, warum soll dann noch mehr Tennis schlecht sein?

Endlich hat die Freiluftsaison wieder begonnen – und Legionen mäßig trainierter Hobbysportler stürmen die Sandplätze. Vor allem diejenigen, die den ganzen Winter keine Gelegenheit hatten, regelmäßig das Racket zu schwingen, sind ganz heiß darauf, Versäumtes nachzuholen und die Frühform zu sichern. Dabei ist Aufwärmen nur unnötige Zeitverschwendung und ergänzendes Konditionstraining ein unbekanntes Fremdwort.

Dementsprechend ist es kein Wunder, wenn die Freude am Tennis oft nur kurz währt und durch einen längeren Krankenstand ersetzt wird. Auch wenn zuverlässige Statistiken hier fehlen, da sie nur aufgrund von Kontakten mit dem Krankenhaus erstellt werden – wo ja nicht jeder hingeht, nur weil's wo zwickt – würde ich doch aufgrund eigener Erfahrungen den internationalen Trend bestätigen: Am häufigsten ist das Kreuz betroffen, gefolgt von Schulter- und Knöchelproblemen.

Was dem Hobbysportler recht ist, ist auch den Profis billig: Dort heißt es dann halt Überlastungssyndrom, hat aber ansonsten dieselben Ursachen: ein Ungleichgewicht zwischen Tennistraining und dem Aufenthalt in der Kraftkammer oder am Laufband. Martina Navratilova, der lebende Beweis für perfekte Fitness bis ins weit fortgeschrittene Tennisalter, empfiehlt in diesem Zusammenhang ein Verhältnis von 1:1 zwischen Tennis- und Konditraining. Diese Aufteilung praktiziert sie seit Jahrzehnten – mit durchschlagendem Erfolg, denn andere (ehemalige) Leistungssportler in ihrem Alter sind schon froh, wenn sie ohne fremde Hilfe aus dem Bett kommen. Dass sich Navs Trainingssystem nicht allgemein durchgesetzt hat, liegt wohl an der bekannten Tatsache, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Ein Profi mit ohnehin ausgefülltem Tagesplan wird immer zuerst an der Perfektionierung seiner Schläge arbeiten, ehe er die eventuell verbleibende Zeit mit anderen Dingen ausfüllt, die zwar ebenfalls unmittelbar zum Tennis dazugehören, von denen er aber nicht unmittelbar etwas hat. Stattdessen siegt die Hoffnung: "Mich wird's schon nicht erwischen!"

Dazu kommt die übliche Zweiklassengesellschaft der Profis: Federer, Hewitt, Roddick und Co. verfügen über ihre persönlichen Fitness-Coaches, die ihnen individuelle Trainingspläne auf den Leib schneidern und, mindestens ebenso wichtig, deren Ausführung und Einhaltung überwachen. In den dreistelligen Regionen der Weltrangliste geht sich das schon rein finanziell nicht aus. Die internationalen Verbände ATP, WTA und ITF versuchen zwar mit sportwissenschaftlichen und medizinischen Programmen gegenzusteuern, aber ein Wochenend-Seminar ist kaum mit einer Ganzjahresbetreuung vergleichbar.

Nach dem Motto "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", muss hier wieder einmal im Jugendbereich gegengesteuert werden – und da sind die Amerikaner wie so oft deutlich weiter als wir. Nick Bollettieri, Chris Evert und Co. beschäftigen in ihren Trainingscamps ganze Betreuerstäbe, die sich nur um Gesundheit und körperlichen Zustand der zukünftigen Spitzensportler kümmern. Sollte es erforderlich sein, wird das Tennispensum durchaus so weit heruntergeschraubt, dass Regeneration und körperlicher Aufbau dominieren. So weit sind wir in Österreich noch lange nicht. Sowohl von Eltern- als auch von Trainerseite wird Fitness bestenfalls als lästiges Beiwerk empfunden, wofür man halt was machen muss, weil's die anderen auch tun. Dass jugendliche Tennisspieler keine rechte Freude haben, wenn sie in der Folterkammer statt am Court werken sollen, versteht sich ohnehin von selbst.

Nachdem Tennis aber immer athletischer wird und diese Entwicklung unumkehrbar ist, werden wir eine immer größere Anzahl von Spielern mit hohem technischen Können und geradezu dramatischer Verletzungsanfälligkeit hervorbringen – außer wir ändern unsere Einstellung.

tennisweb-Kolumnist Arno Dupal ist freier Journalist und Tennistrainer.

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